Vadim Glowna







Herr Glowna, seit mehr als drei Jahrzehnten stehen Sie im Film für gesellschaftliche Außenseiter. Kann man sagen, Sie haben Zuflucht genommen im Außenseitertum?

Ich weiß nicht, ob man da Zuflucht nehmen kann. Ich glaube, man wird auserwählt für eine Rolle, weil man bestimmtes signalisiert, oder im übelsten Fall, weil man sich in solchen Rollen bewährt hat.

                                                 
Was signalisieren Sie?

Es wird über mich gesagt, der Glowna ist festgelegt auf Außenseiter, getretene Kreaturen, Bösewichter, was ja in sich schon drei Widersprüche sind. Das hat mich erst irritiert und geärgert, weil ich dachte, da haben die Leute nicht genau geschaut. Was heißt hier Außenseiter,  was heißt hier Bösewicht oder getreten Kreatur, um diese drei zu nehmen?
Denn sie sind ja alle doch sehr verschieden, sind von verschiedenen Punkten ausgegangen.
Sie haben vielleicht etwas ähnliches erlitten, aber sich daraus auf verschiedene Art freigemacht, oder haben gekämpft, oder verloren, oder sind aggressiv geworden.
Widerstand bedeutet ja nicht nur Kraft, Physis. Es bedeutet auch Denken, Intelligenz, wenn man überleben will. Auch ein Mindestmaß an Schlauheit oder Erfahrung.


Was hat Sie bei der Auseinandersetzung mit Ihren Rollen, an Ihnen selbst, am meisten interessiert?

Man geht mit den Rollen, die ich spiele, sofort in den Widerstand. Da widerfährt mir eine Ungerechtigkeit und das stimmt nicht.
Man wird so eine Art Anwalt oder Verteidiger. Nun sind das ja auch Rollen, die Schicksale erzählen, die ich als bürgerlicher Schauspieler, ich sage bewußt bürgerlich, weil ich wohne ordentlich, habe ein Auto, habe eine Familie, so nicht erlebe. Ich bin ja diesen Gefährnissen nicht wirklich ausgesetzt, und wenn dann nur gedanklich.
Als ich jung war, war ich ein verrückter Hund und viel in Gefahr. Aber heute versuche ich etwas zu erklären. Einmal für mich, wie würdest du dich verhalten, andererseits, mehr für die Rolle: Wo ist der Drehpunkt gewesen, was hat sie falsch gemacht, warum sieht sie etwas nicht ein, warum fühlt sie sich ungerecht behandelt von einem anderen Menschen oder von einer Situation oder einer Gesellschaft?
Ich glaube, da kommen dann die Gedanken, die die Rolle, den Ausdruck dabei bestimmen.


Worauf geht dieser Widerstand zurück? Da muß ja eine gewaltige innere Unruhe herrschen!

Ja, die ist auch gut und angebracht und hilfreich. Es ist z.B ein Phänomen, wenn man eine Rolle spielt, in der man ein Mörder ist. Mord ist so etwas, hab ich nichts mit zu tun, ist mir gottseidank nie passiert, oder weiß ich nicht, oder erzähl ich jetzt auch nicht, aber warum?
Was ist die psychische Disposition dafür?
Es gibt ein anderes Phänomen - ich hab das mal aufgelistet. In 90 % aller Rollen, die ich gespielt habe, sterbe ich. Das ist statistisch interessant.
Und alle sind verschieden. Es ist nicht nur der Schuß in den Bauch, oder der Stich ins Herz oder das Gift und dies und das. Es gibt auch ein paar andere Tode.


An Toden mangelt es uns nicht.

Der Tod ist eine Entsprechung zum Leben. Also wenn ich wie ein normaler, bürgerlicher Mensch ordentlich vor mich hinlebe und dann mit 75 sterbe, ist das ganz normal, so eine Mittellinie. Der Mensch stirbt am Ende vielleicht durch eine Krankheit, oder weil er keine Lust mehr hat, oder Schicksal. Oft sind das Sachen, die viel früher beginnen - der war vielleicht mit 55 schon tot, aber es hat solange gedauert bis der Exitus gekommen ist.
Es hat sich nichts mehr entwickelt, es ist so weitergeglitten, es ist so ausgeklungen.
Jemand, der sich in Gefahr begibt muss natürlich auch mit einem anderen, harten Tod rechnen. Wenn ich ein Verbrecher bin, ein Bandit, und ich mich auf Schusswechsel einlasse, dann kann es zack machen und dann ist Schluss.
Oder, wenn ich mich entscheide mich gesellschaftlich zu engagieren und im extremsten Falle ein Terrorist werden will und sterbe mit 30 oder 28. Da fängt ja vorher schon ein ganz anderer Oszillograph an, der dann auf einmal stop macht.
Aber das sieht man in den Filmen und das ist Teil des Mythos der grossen Westernfilme, des Film Noir, analog der Krimis von Chandler oder Hammet oder Cain.
Das sind ja keine normalen Bürger oder Spießer. Das sind Leute, die irgendwie die Leine verloren haben, oder sich abgerissen haben von der Leine und wissen warum sie was tun.
Da kommen wir auf die Aussenseiter.
Das ist nicht so, dass man sich das aussucht. Sondern da ist ein Konzept, eine Vision fehlgeschlagen. Da ist ein Widerstand entstanden gegen Bestehendes, gegen gesellschaftlich Betoniertes
Es gibt tausendfache Interpretationsmöglichkeiten für Schicksale. Wie verhalten sich Leute?
Beispiel: Ein Mann fängt gut an, hat Erfolg im Beruf. Aber dann: Die Frau läuft ihm weg, das Kind hat einen Unfall, er verliert seine Approbiation aus irgendwelchen Gründen, er wird geächtet. Nun verdient er kein Geld mehr, er muss das Haus verkaufen, das Auto. Das Kind guckt ihn nicht mehr an, die Exfrau hat schon den vierten Mann, er findet keine mehr, hat niemanden der ihn auffängt und er sitzt auf der Straße. Was macht der dann?
Nicht jeder kommt wieder hoch. Viele sitzen unter der Brücke, oder werden kriminell oder landen in psychatrischen Anstalten oder verlassen das Land, oder, oder oder...
Diese Leute interessieren mich. Was ist, wenn gar nichts mehr geht. Du hast den letzten Jeton verspielt, was machst du jetzt? Was kannst du machen, was fällt einem ein?
Wenn du weißt, du hast verloren, aber du gehst den Weg bis zu Ende. Du hast einen gewissen Stolz, eine bestimmte Würde, die kann dir keiner nehmen. Dann kannst du auch in einen Kugelhagel gehen, dann kannst du auch nach ganz unten gehen, oder nach ganz oben und Widerstand tätlich ausführen.
Dann willst du vor dir selber eine Rechtfertigung, und sei sie noch so klein.
Das hat was mit Tapferkeit zu tun und Tapferkeit hat immer mit etwas mit Angst zu tun.


Sind diese Menschen, die Außenseiter, näher an der Wahrheit?
Sie haben gesagt, die Verlierer, die Nichtangepassten, verkörpern für Sie einen Rest von Freiheit.
Die Gewinner, die Angepassten, und mögen sie noch so schön und reich sein, haben die Freiheit also schon lange verloren?

Würde ich so, oder so ähnlich wiederholen. Der Begriff von Wahrheit ist bezweifelbar, bestreitbar sogar. Aber ich glaube, daß sie einen Moment der Wahrheit erfahren haben und zugelassen haben.
Die engste Form vor dem Tod ist vielleicht die Erfahrung der Demütigung. Das haben sie alle erfahren. Der Angepasste ist jemand, der etwas verdrängt, der stromlinienförmig wird, der nicht anecken will, der seine Karriere oder seinem guten Leben vieles unterordnet und dann auch vieles verliert, z.B. Zivilcourage kann auf diesem Weg verloren gehen.
Der Erfolgreiche ist etwas anderes. Der muss ja auch eine Leistung erbringen. Die kann über Intelligenz, über Engagement, über Fleiß, über Talent, oder was auch immer erbracht werden, das muss nicht nur über Hemdsärmeligkeit oder Ellenbogen dargestellt werden. Natürlich sind solche Figuren rüde neureiche Ellbogenfuzzies, aber Andere sind charismatische Figuren, die natürlich auch eine Persönlichkeit und eine Raumverdrängung haben. Das würde ich auch Albert Einstein unterstellen. Aber in der Regel sind es Leute, die nicht auf Konflikt aus sind, ihm mehr aus dem Weg gehen. Dann kommt so etwas Angepasstes, da ist kein Widerstand mehr, kein Nachfragen mehr.
Gut, das sind lautere Gründe: ich will meine Ehe nicht gefährden, will meine Kinder nicht gefährden, meinen Wohlstand, mein Auto, oder so etwas, ist ja unbenommen, aber unter Menschlichkeit kommt dann noch was anderes.
Da wo Zivilcourage gefragt wird, da wird sie nicht angewandt, oder wird der Kopf weggedreht. In der U-Bahn, jemand wird angepöbelt und du sitzt drei Reihen weiter und kannst ruhig deine Zeitung lesen.
Machst du was, oder hälst du die Zeitung noch´n bisserl höher?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen